Rede zum 50sten Jubiläum

50 Jahre Janusz-Korczak-Schule Freiburg,

das ist ein Lehrstück in Empowerment

Dieser moderne englische Begriff steht für „Ermächtigung“, Selbstbefähigung“, Stärkung von Eigenmacht und Autonomie“, d.h. konkret mehr Mitbestimmungsrecht, Handlungsspielräume bekommen bzw. sich erarbeiten oder auch erkämpfen, Interessen selbstbestimmt gestalten u. vertreten können.

Empowerment, dass hatten die Gründungseltern vor mehr als 50 Jahren.

Aus der Not heraus, da ihre Kinder keinen Schulplatz bekommen haben oder aus bestehenden Sonderschulen ausgeschult wurden, mussten Sie für sich und ihr Kind eine Lösung finden. Sie haben sich Selbst-Ermächtigt, wurden aktiv, gemeinsam aktiv und haben gehandelt.

Nicht klagen und jammern, sondern handeln und tun, Selbst-Tun war ihr Motto. Durch sie, liebe Gründungseltern, ihr Engagement, ihr Durchhaltevermögen, ihr Empowerment stehen wir heute hier und feiern 50 Jahre Janusz-Korczak-Schule. Eine Erfolgsgeschichte, vielen Dank Ihnen für Ihr Empowerment!

Um ihr Engagement noch deutlicher würdigen zu können, schauen wir uns kurz die Situation für Familien mit Kindern mit Beeinträchtigungen in den 1970er Jahren und davor an:

In der 2. Hälfte des 19. Jh. bis in die 1. Hälfte des 20 Jh. gibt es die Entwicklung von der Idiotenanstalt zur Hilfsschule, hier wurde am ehesten die Gruppe der heutigen Förderschüler erfasst. Menschen mit geistiger Behinderung nur ansatzweise, Schwerstbehinderte gar nicht.

Im Jahr 1933 kamen die Nationalsozialisten an die Macht und 1938 wurde der §11 des Reichsschulgesetz verabschiedet, er unter schied zwischen Schul-bildungsfähig und Schulbildungs-unfähig. Alle Schüler mit geistiger Behinderung wurden aus den Hilfsschulen ausgeschult und in Anstalten eingewiesen oder lebten ausschließlich im Familiensetting.

Im Rahmen der NS-Euthanasie fand der erste industrielle Massenmord statt, bei dem staatlich organisiert über 70.000 psychisch kranke und behinderte Menschen mit Gas umgebracht wurden. Weitere 5000 Kinder und Jugendliche wurden im Rahmen der Kinder-Euthanasie in Kinderfachabteilungen der Kinderkliniken ermordet.

Nur wenige Menschen mit Behinderungen oder psychisch Kranke haben die NS-Zeit überlebt.

Interessant ist, dass der §11 der Unterscheidung und Aussonderung von Bildungsfähig und Nichtbildungsfähig des Reichsschulgesetzes, 1945 in die Schulgesetze der Bundesländer in der Bundesrepublik übernommen wurde. Nur Berlin, als einziges Bundesland reaktivierte Sammelklassen wieder an Hilfsschulen.

1954 wurde für Bildungsunfähige immer noch die Ausschulung gefordert.

1958 gründet sich die „Lebenshilfe für das geistig behinderte Kind“ heute „Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung“ mit dem Ziel:

1. Einer familiennahen Erziehung und ein Ende der Großanstalten und

2. familiennahe Bildungseinrichtungen und Aufbau einer neuen Sonderpädagogik der praktischen Bildbarkeit.

1960 wurde das erste Mal eine gesetzliche Verankerung einer „Schulpflicht für alle“ gefordert.

Erst 10 Jahre später, 1970, wurde die Schulpflicht im letzten Bundesland der alten Bundesrepublik eingeführt, in Schleswig-Holstein.

In der damaligen DDR gab es bis zur Wende Rehabilitationspädagogische Fördereinrichtungen, zumeist bestehende Großanstalten oder im Rahmen der kirchlichen Tätigkeit.

In dieser gesamten Auflistung, wir sind gedanklich in den 1970er Jahren angekommen, finden Kinder und Jugendliche mit schwersten mehrfachen Behinderungen immer noch keine Berücksichtigung.

1980 gibt es die erste KMK-Empfehlung in der eindeutig die Forderung formuliert wird, alle Schulpflichtigen mit geistiger Behinderung, somit auch Kinder und Jugendliche mit Schwerstmehrfachbehinderungen in schulische Bemühungen einzubeziehen.

Ab da öffneten sich zumeist Schulen für Körperbehinderte oder Sinnesbehinderte für diese Personengruppe.

Oder wie in unserem Fall: gab es engagierte und persönlich betroffene Familien, die sich selbst-tätig auf den Weg machten, nicht warten wollten oder warten konnten, dass sich gesellschaftlich, politisch etwas zu ihren und zu Gunsten ihrer Kinder ändert. Das ist Empowerment.

1971 starteten die Gründungseltern gemeinsam, gründeten zunächst den Elternverein und kauften das erste Haus in der Goethestraße. Renovierten selbst die Räume der alten Villa und stellten erstes Lehrpersonal selbst ein. Eine Lehrerin der ersten Stunde, Susanne Thomas ehren wir heute mit einer 50jähren Zugehörigkeit zum Korczak-Haus.

Vielen Dank Dir, für das Engagement über 5 Jahrzehnte bis heute für dieses Haus, für uns, auch das ist Empowerment.

Mit der erfolgreichen Beschulung von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen etablierte sich das Korczak-Haus Freiburg in der Schullandschaft Freiburgs und darüber hinaus. Die staatliche Anerkennung als offizielle Ersatzschule folgte erst später.

Die weiteren Angebote für die Familien wurden durch den Elternverein bzw. Elternvorstand den familiären Bedürfnissen angepasst und weiter ausgebaut. So gibt es nun neben der Schule und dem Schulkindergarten einen sehr umfassenden, in der gesamten Bundesrepublik fast einzigartigen Familienentlastenden Dienst.

Der FED ist nach und vor der Schule aber auch an Wochenenden und in allen Ferien buchbar und unterstützt damit maßgeblich die Familien, um das Leben in der Familie aber auch die berufliche Situation der Eltern möglich zu machen und ein Leben in einer Familie mit einem Kind mit umfassenden Beeinträchtigungen so zu stützen, dass das System Familie stark ist, alle Familienmitglieder zu ihrem Recht kommen und die Familie gut und langfristig mit ihrem Kind mit Behinderung leben kann.

In den kommenden Jahren wird das Thema Wohnen endlich Wirklichkeit.

Jeder Mensch mit und ohne Behinderung entwickelt sich, wird vom Kind zum Erwachsenen und hat das Recht als Erwachsener unabhängig von Familie, Eltern, Geschwistern leben und wohnen zu dürfen.

Um dieses Ziel für ihre eigenen Kinder realisieren zu können, planen die Eltern für ihre Kinder ein Erwachsenen-Wohnprojekt, das Haus Helene.

Ich freue mich sehr, meine Bauerfahrungen, die ich in der vorherigen Einrichtung im Rahmen eines Schulneubaus sammeln konnte nun in dieses Bauprojekt mit einbringen zu können und als Professionelle den Elternverein zu unterstützen. Die Hauptakteure sind auch hier die Familien selbst- also gelebtes Empowerment.

Wie sieht meine Zukunft als Schulleitung aus und was werden die wichtigsten Punkte meiner Tätigkeit als Leitung in diesem Haus sein?

2009 wurde die UN-BRK  von Deutschland ratifiziert und rechtsverbindlich.

Deutschland hat sich verpflichtet, die Gesellschaft nicht nur das Schulsystem zukünftig inklusiver zu verändern.

Inklusion meint ein umfassendes, demokratisches Konzept des menschlichen Zusammenlebens. Es ist ein gesellschaftliches, politisches Projekt, das soziale Teilhabe aller ermöglicht, Barrieren verschwinden lässt und jegliche Heterogenität, d.h. Verschiedenheit akzeptiert und Wertung vermeidet.

An diesem Projekt müssen wir alle mitarbeiten und uns selbst-ermächtigen – Empowerment!

Und gleichzeitig müssen wir wachsam sein. Das „Nie wieder“ als Erfahrung aus der Zeit des Nationalsozialismus besteht weiter fort und ich sehe es als große Aufgabe hier wachsam und laut zu sein.

Wenn Hr. Höcke von der AfD Thüringen im MDR Sommerinterview 2023 von „gesunden Gesellschaften brauchen gesunde Schulen“ spricht und sagt: „Projekte wie Inklusion und Gender-Mainstream bringen unsere Kinder nicht weiter“ dann brauchen wir Empowerment.

Klare Worte und klare Haltung - Empowerment –

Ich möchte in der Funktion als Leitung Menschen stärken, Mitarbeitende, Eltern, Schülerinnen und Schüler, sie ermutigen über sich hinaus zu wachsen. Selbstbestimmt zu leben und Selbst-Aktiv zu werden. Alle sind für das Gelingen verantwortlich im Kleinen der Schule und im Großen, unserem gesellschaftlichen Zusammenleben. Dafür setze ich mich gerne ein.

 

 

Und damit komme ich zum Schluss zur Hauptfigur, Janusz-Korczak, unserem Namensgeber:

Seine Pädagogik beinhaltet:

·      Die Fähigkeit Empathie zu spüren und weitergeben zu können

·      Keine Gewalt

·      Die aktive Teilhabe am Leben, in Form gesellschaftlicher und auch sozialer Teilhabe

·      Der andauernde Versuch sich, das Kind in uns selbst und das Kind gegenüber zu verstehen

·      Das Kind annehmen zu können wie es ist.

In seiner päd. Schrift: „Schule des Lebens“ schreibt Korczak:

 „Ich bin ein Schmetterling, trunken vor Leben. Ich weiß nicht, wohin ich fliege aber ich werde dem Leben nicht erlauben, meine farbenprächtigen Flügel zu stutzen.“

Ich wünsche Ihnen/ euch, dass uns das Leben trägt und unsere farbenprächtigen Flügel Farbe und Fröhlichkeit in ihr/unser Leben bringt. Jeder ist einzigartig, zusammen sind wir bunt, fröhlich und stark.

 

Vielen Dank und auf eine gute gemeinsame Zukunft!

September 2024          Ulrike Steffen